Also, dieses hier bringt mich wirklich zum Nachdenken. Als Historikerin stellt sich mir natürlich die Frage:
Wie kam es zur Kurzhaarmode für Frauen über 40?
Achtung, jetzt kommt
Bis mindestens 1910 waren lange Haare auch bei älteren Damen völlig normal. Sie wurden in verschiedenen Frisuren, meist im Dutt, getragen.
http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/9422/index.html
Nach dem 1. Weltkrieg veränderte sich die Frisurenmode radikal, der Kurzhaarschnitt als Bubi- oder Pagenkopf war auch Ausdruck der neuen, gleichberechtigten Frau.
http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/20052565/index.html
Während des Nationalsozalismus wurde wieder ein anderes Frauenbild idealisiert, zudem, von der Frisur her, auch wieder längere Haare gehörten. Allerdings war zuviel Styling verpönt.
http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/99001927/index.html
Nach dem 2. Weltkrieg gab es den New Look von Dior, zu dem ein Chignon gehörte, was aber eher keine Alltagsfrisur war – in den 40ern direkt nach dem Krieg war das eher der Trümmerfrauenlook, zottelig oder mit Kopftuch.
http://www.hdg.de/lemo/objekte/pict/Nac ... index.html
Richtig lang wurde es dann aber für normale Alltagsfrisuren nie mehr – maximal APL oder BSL in wechselnden Stylings, aber eigentlich nie in „Frisuren“ wie Zöpfe oder Dutts.
Für mich ergeben sich (neben den schon genannten mit Sexualität assoziierten) mehrere Interpretationsansätze für den "Kurzhaarzwang" jenseits der 40:
1. Historisch gesehen sind die kurzen Haare Ausdruck einer freien, selbstbestimmten Frau – vielleicht ist man dass vom Lebensgefühl her erst, wenn man nach erfolgreich abgeschlossenem Männerfang und gewisser beruflicher Etablierung in den 40ern angekommen ist – man hat lange Haare nicht mehr nötig.
Also eine bewusste (oder unbewusste?) Abkehr von „alten Zöpfen“ und tradiertem, konservativem Frauenbild.
2. Mit Zöpfen oder Dutts assoziiert man also ALT – und das kann man heutzutage ja gar nicht zugeben, dass man ALT ist – schließlich muss man mit 40 noch wie 20 aussehen. Deshalb Haare ab auf der Suche nach dem jungen, frischen, frechen Aussehen, welches einem von den Medien und der Werbewelt als erstrebenswert suggeriert wird.
3. Wenn man kleine Kinder hat, sind lange Haare (über schulterlang), so wie sie normalerweise getragen werden (offen), eher unpraktisch. Kleine Kinder neigen dazu, sich in den Haaren festzukrallen. Auch von der Pflege her sind kurze Haare in dieser Phase praktischer. Und wenn man dann große Kinder hat die Haare nochmal lang wachsen zu lassen – dazu gehört viel Geduld.
4. Der Herdentrieb. Ich beobachte seit Jahren, wie alle Damen in meinem Alter in ähnlicher Lebenssituation immer kurzhaariger werden. Als wir um die 20 waren, gab es in meinem engeren Freundeskreis mehrere mit APL oder BSL oder länger – davon ist keine übrig geblieben außer mir.
Wer bis hierher durchgelesen hat, bekommt ein Fleißsternchen! *
LG
Joey