

In Europa haben wir beim Gedanken an den Ersten Weltkrieg vermutlich alle das gleiche Bild vor Augen: die Schützengräben der Westfront. Doch das ist quasi nur die Spitze des Eisberges – neben den Schlachtfeldern Frankreichs und Belgiens haben wir Kämpfe in Russland; Briten, Neuseeländer, Australier und Franzosen verlieren in der Schlacht von Gallipoli gegen die Türken, in der Nordsee vor Skandinavien spielen sich Seeschlachten ab, es kracht auf dem Balkan und Richtung Osten erstrecken sich die Kriegsschauplätze über Palästina und die Sinai-Halbinsel bis in den heutigen Irak, dazu kommen Kämpfe in China und im Gebiet diverser pazifischen Inseln. Im Süden haben wir den Gebirgskrieg zwischen Italien und Österreich-Ungarn, Marinegefechte im Mittelmeer, Kämpfe in Ostafrika und wer weiß, welche Orte ich vergessen habe.
Allein die schiere Anzahl an Nationen im Krieg ist heute kaum vorstellbar. Zwar erklären einige Nationen den Krieg, ohne direkt an Kämpfen beteiligt zu sein, aber bedingt durch Bündnisse und Kolonien nehmen Länder aller Kontinente (außer der Antarktis, natürlich) an Kampfhandlungen teil.
Ausgelöst wird der Erste Weltkrieg durch eine Verkettung von Ereignissen und Bündnissen, deswegen hier die Kurzfassung: Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Ungarn und seine Frau Sophie werden von einem bosnischen Attentäter erschossen, woraufhin Österreich-Ungarn Serbien ein Ultimatum stellt und letztendlich den Krieg erklärt. Durch zahlreiche Bündnisse der Vorkriegszeit, die Zusicherung uneingeschränkter militärischer Unterstützung durch Blankoschecks und späteres Eingreifen anderer Nationen wie den USA wird der Krieg zum Großen Krieg, nämlich dem Ersten Weltkrieg.
Ebenfalls (auf unschöne Art) bemerkenswert ist, wie kreativ die Menschheit beim Töten wird und welche Waffen entweder erstmals überhaupt oder erstmals im großen Stil eingesetzt werden. Nur elf Jahre nach dem ersten Motorflug finden Flugzeuge ihren Weg in den Krieg: dienen sie zunächst als Aufklärer, indem die Piloten Fotos aus der Luft machen (was ganz eigene Herausforderungen mit sich bringt, vom Wechsel der zu belichtenden Platten bis zum anständigen Fokussieren), nehmen sie später aktive Rollen im Kampf ein. Per Funk dirigieren sie Truppenteile (anfangs mit Kommunikation in eine Richtung, da die Funkempfänger schlicht zu schwer sind, um transportiert zu werden) und schließlich liefern sich die Fliegerasse ihrer Zeit Luftgefechte. Der Rote Baron Manfred von Richthofen ist sicher der bekannteste unter ihnen, mit den meisten anerkannten Luftsiegen im Ersten Weltkrieg, aber auch andere Nationen bringen begnadete Piloten hervor.
Der festgefahrene Grabenkrieg erfordert neue Ideen, um sich geschützt fortbewegen zu können, was zur Geburtsstunde der Panzer wird. Die Schützengräben werden immer ausgeklügelter mit mehrreihigen Systemen, geschützt von Stacheldraht und Artillerie. Standardtaktik vor einem Angriff ist meist der Versuch, diese Hindernisse kurz und klein zu schießen. Maschinengewehre werden im großen Stil verwendet und häufig als die ausschlaggebende Waffe bezeichnet. Ebenfalls eingesetzt werden Granaten – gerne auch aus Metallsplittern und explodierenden Komponenten in Blechdosen selbstgebaut, wenn der Nachschub mal wieder nicht hinterherkommt. Berühmt-berüchtigt ist auch der Gaskrieg: lassen die Deutschen anfangs noch Chlorgas aus Flaschen bei günstigem Wind in Richtung der feindlichen Stellungen ab (was bei einem Wechsel der Windrichtung schnell nach hinten losgeht, im wahrsten Sinne des Wortes), entwickeln beide Seiten immer ausgefeiltere und tödlichere Gasmischungen und Wege, diese zu den feindlichen Linien zu befördern. Die logische Konsequenz lässt nicht lange auf sich warten: die Entwicklung der Gasmaske.
Mit dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk zieht sich Russland aus dem Krieg zurück; die Kämpfe zwischen dem Deutschen Reich, Frankreich und Großbritannien werden später mit dem Waffenstillstand von Compiègne beendet. Völkerrechtlich betrachtet endet der Erste Weltkrieg erst mit dem Friedensvertrag von Versailles. Der Inhalt schmeckt dem Deutschen Reich nicht wirklich, da sie überwiegend nicht mitverhandeln können, sämtliche Kolonien und ihnen bisher zugehörige Gebiete abtreten müssen, das Rheinland wird besetzt, das Militär stark reglementiert und Reparationszahlungen verlangt.
Die Kolonien werden dabei nicht unabhängig, sondern vom Völkerbund an die Siegermächte verteilt.
In diesem Jahrzehnt sieht es ziemlich mies aus für Monarchien: Nach dem Krieg hat sich mit der Novemberrevolution das Deutsche Kaiserreich erledigt und Wilhelm II. geht in die Niederlande ins Exil. Ohne das Kaiserreich verabschieden sich bald darauf auch die Könige von Bayern, Sachsen und Württemberg. Die Nachfolge tritt die Weimarer Republik an, die von Philipp Scheidemann ausgerufen wird. Österreich-Ungarn verabschiedet sich ebenfalls vom Kaiser, teilt die Gebiete neu auf und setzt noch einen drauf, indem das Führen von Adelstiteln unter Strafe gestellt wird.
In Russland verzichtet Zar Nikolaus II. nach massiver öffentlicher Unzufriedenheit auf den Thron, später wird er zusammen mit seiner Frau und den fünf Kindern erschossen. Zunächst teilen sich der Petrograder Sowjet und die provisorische Regierung die Herrschaft, werden aber von Lenin und den kommunistischen Bolschewiki gestürzt. Was folgt, ist wenig überraschend – Bürgerkrieg.
Eine Revolution stürzt Chinas Qing-Dynastie. Der sechsjährige Kaiser wird abgesetzt und eine Republik gegründet, die später einigen Turbulenzen ausgesetzt ist. Auch Portugal wandelt sich von einer Monarchie in eine Demokratie.
Irland startet einen Versuch, unabhängig von Großbritannien zu werden und es kommt zum Osteraufstand/Easter Rising. Verschiedene, für die irische Unabhängigkeit kämpfende Gruppierungen nehmen strategisch wichtige Gebäude in Dublin ein und verkünden die irische Republik; das lassen sich die Briten natürlich nicht kampflos bieten und es kommt zu erbitterten Gefechten.
Der Aufstand schlägt fehl, denn nach sechs Tagen kapitulieren die Rebellen und insgesamt 16 von ihnen werden hingerichtet, Die Briten verspielen sich durch diese Exekutionen allerdings viele Sympathien in der irischen Bevölkerung.
Bei Katastrophen außerhalb des Krieges denken wir in diesem Jahrzehnt alle an das Gleiche: Eisberg voraus! Die aufgrund ihrer Konstruktion als unsinkbar geltende Titanic macht was? Sie sinkt… Weitere Schiffsunglücke betreffen die Britannia und die Lusitania. Violet Jessop überlebt sie dabei alle drei. Ob sie hinterher Lotto spielte, ist nicht überliefert…
The Great Molasses Flood (die große Sirupflut) tötet 21 Menschen in Boston und verletzt 150. Eine gewaltiger Tank voller Sirup zerbirst und die entstehende Flut wälzt sich mit einer geschätzten Geschwindigkeit von knapp über 50 km/h durch die Straßen. Dieser Vorfall ist teilweise auch bekannt als Boston Molassacre

Was heutzutage Covid-19 ist, ist vor etwas über hundert Jahren die Spanische Grippe: eine Influenzapandemie, die ein Vielfaches der Opfer des Ersten Weltkrieges fordert. Der Name ist irreführend, da die Grippe ihren Ursprung nicht in Spanien hat; das neutrale Spanien unterliegt aber anders als die Nachrichtenkanäle vieler anderer Länder nicht der kriegsbedingten Zensur und so häufen sich Berichte aus Spanien über die Pandemie.
Ähnlich wie heute wird die Verbreitung der Grippe massiv durch Reisetätigkeiten gefördert, nur dass diese 1918 unfreiwillig durch Truppenbewegungen erfolgen. Auch Präventionsmaßnahmen wie das Tragen eines Mundschutzes, Quarantäne und das Meiden von Menschenmassen werden schon damals eingesetzt.
Clara Zetkin schlägt vor, einen Internationalen Frauentag einzuführen, was einige Länder auch ziemlich prompt umsetzen.
Das Frauenwahlrecht kommt! Als erster souveräner Staat führt es Norwegen ein, viele europäische Länder ziehen spätestens in den Nachwehen des Ersten Weltkriegs nach.
Deutschland beginnt etwas, was viele Menschen noch heute nervt: die Sommerzeit wird erstmals eingeführt, um an langen Sommerabenden während des Krieges weniger künstliche Beleuchtung zu benötigen.
Marie Curie erhält ihren zweiten Nobelpreis, dieses Mal in Chemie und ist damit die erste Person, die einen Nobelpreis in zwei Kategorien erhalten hat. Apropos Marie Curie: während des Ersten Weltkriegs sorgt sie für die Bereitstellung mobiler Röntgeneinheiten, um die Chirurgen in Feldlazaretten bei der schnellen Diagnose zu unterstützen. Zusammen mit einem Militärarzt und ihrer siebzehnjährigen Tochter ist sie für die Installation von zwanzig Röntgenfahrzeugen verantwortlich, zudem ist Curie Direktorin der Röntgengesellschaft des Roten Kreuzes und bildet später Frauen als Hilfskräfte aus. Die Röntgenfahrzeuge selbst sind als petite curies, kleine Curies, bekannt. Zudem produziert sie hohle Nadeln, die Radon enthalten, um damit Wunden zu desinfizieren. Das nötige Radium spendet sie aus ihrem eigenen Vorrat von einem ganzen Gramm.
Rutherford entdeckt die Protonen, Fabry und Buisson die Ozonschicht.
Einstein stellt die allgemeine Relativitätstheorie auf und Alfred Wegener hat eine Theorie zur Kontinentaldrift.
Der Halleysche Komet sagt mal wieder Hallo und kann erstmals nicht nur fotografiert werden, sondern es werden auch Spektroskopiedaten werden erhoben.
Roald Amundsen gewinnt das Rennen um den Südpol, indem er den geografischen Südpol erreicht – und das 35 Tage vor seinem Rivalen Robert Falcon Scott. Diesem verdanken wir allerdings kurioses Wissen, denn Scott hat George Murray Levick dabei, der der Expedition als Chirurg und Zoologe dient. In dieser Funktion beobachtet er Adeliepinguine und muss zu seinem Entsetzen Verhaltensweisen wie Prostitution gegen Kieselsteine, se.xuelle Nötigung, Homosexualität unter Pinguinmännchen und Nekrophilie sehen. Die Erkenntnisse, die er in einem Manuskript festhält, werden von den Verantwortlichen als zu unanständig für die britische Gesellschaft eingestuft und erst gut hundert Jahre später uneingeschränkt veröffentlicht.
Der Panamakanal wird fertiggestellt und stellt somit die Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik her. Ebenfalls fertig wird die Transsibirische Eisenbahn.
Fords Model T wird zu einem Renner auf dem Automarkt.
Der erste Nonstopflug zweier Piloten über den Atlantik erfolgt durch John Alcock und Arthur Whitten Brown.
Den ersten Fallschirmsprung aus einem Flugzeug kommentiert der mutige Springer passenderweise mit „Nie wieder!“

Die Büste der Nofretete wird entdeckt und nach Berlin gebracht, wo sie trotz aller ägyptischen Proteste noch heute ist.
In Peru wird die Ruinenstadt Machu Picchu, ein Überrest der Inkakultur, wiederentdeckt.
Das Feuer in der Triangle Shirtwaist Factory in New York hat weitreichende Folgen für Brand- und Arbeitsschutzbestimmungen. Im achten Stock des Gebäudes, in dem überwiegend junge Frauen Kleidung herstellen, bricht ein Feuer aus. Da die Türen während der Schicht abgeschlossen sind, um unerlaubte Pausen und Diebstähle zu verhindern, kommen 146 Menschen in den Flammen um oder stürzen sich aus den Fenstern, um dem Feuer zu entkommen. Nach dem Brand werden diverse neue Verordnungen erlassen, die unter anderem Feuerlöscher, Sprinkler- und Alarmanlagen, bessere Zugänge zu Gebäuden sowie reduzierte Arbeitszeiten behandeln.
Emma Goldman und Margaret Sanger bekommen Stress mit dem Gesetz, jeweils unter Berufung auf einen Verstoß gegen das Comstock Law: Sanger wird angeklagt, weil sie ein Pamphlet zur Geburtenkontrolle herausgibt, Goldman wird verhaftet, weil sie in der Öffentlichkeit Lehrstunden abhält, wie Verhütungsmittel angewendet werden.
Die spätere Virginia Woolf erlaubt sich mit Freunden den Dreadnought-Streich: in abenteuerliche, orientalische Kostüme gehüllt, falsche Bärte und Blackfacing inklusive, besichtigen sie ein geheimes englisches Kriegsschiff, nachdem sie sich per Telegramm als fürstliche Diplomaten aus Abessinien ausgegeben und angemeldet haben. Zu ihren Ehren werden Flaggen gehisst, die Kapelle spielt (pottegal, dass diese die Nationalhymne von Sansibar spielt, weil die von Abessinien nicht aufzutreiben ist). Das Glück der Gruppe hält an, denn das einzige Besatzungsmitglied, dass ihre Sprachkenntnisse (ein paar Bröckchen Swahili) hätte auffliegen lassen können, ist nicht an Bord. Die Truppe schickt schließlich ein Foto des Streichs an die Zeitung und meldet sich selbst beim Foreign Office, das nicht gerade amused ist, aber nichts machen kann – schließlich wurde kein Gesetz gebrochen.
Hollywood wird zum Mittelpunkt der amerikanischen Filmindustrie; ein Grund für die Verlegung von der Ost- an die Westküste sind die deutlich besseren Lichtbedingungen, da zu der Zeit noch viel mit natürlichem Licht gearbeitet wird. Charlie Chaplin führt den Stil ein, der ihn bekannt macht und der wohl auf ewig mit ihm assoziiert sein wird.
Wir haben die erste Nacktszene im Film: Annette Kellermann, eine australische Schwimmerin, zieht in A Daughter of the Gods blank. Na gut, für heutige Verhältnisse lächerlich, da ihre langen Haare alle strategischen Stellen bedecken, aber dass die Zensurbehörde das als „okay, weil künstlerisch“ einstuft, ist doch bemerkenswert.
Das Filmstudio Babelsberg wird tatsächlich vor den heute berühmten Studios wie Paramount Pictures oder die Universal Studios gegründet.
Was Tutanchamun für die Egyptomania ist, ist die Aufführung von Scheherazade durch Les Ballets Russes in Paris für den Orientalism: europäische Designer stürzen sich auf alles, was ihnen exotisch erscheint und bauen es in ihre Kollektionen ein. Darunter sind Kimonoanklänge, aber richtig populär werden Turbane und Haremshosen. Letztere sorgen für einen Aufschrei – Hosen? Für Frauen?!
Fortuny patentiert seine speziellen Techniken fürs Färben und Plissieren, die seine Delphos Gowns, angelehnt an die Kleidung des Wagenlenkers von Delphi, so berühmt machen.
Erinnert die hohe Taille zu Beginn der 1910er noch an die Empiremode des Regency, wandert sie langsam nach unten. Über schmalen Röcken (zeitweise so schmal am Saum, dass keine großen Schritte möglich sind) werden gerne hüftlange, weitere Tuniken getragen.
Immer beliebter werden Tailor Mades, quasi Anzüge für Frauen: die Kombinationen aus Rock und Bluse oder Oberteil werden nun nicht mehr nur beim Reisen oder auf dem Land getragen, weil sie durch die einzelnen Elemente praktischer sind und eine flexiblere Gestaltung des Kleiderschranks erlauben. Mit ihnen geht auch eine Feminisierung von männlichen Kleidungsstücken einher.
Bei Ausbruch des Krieges sind die Kollektionen der Modemetropole Paris längst geplant - also gibt man ihren einfach einen patriotischen Anstrich und vermarktet sie als War Crinoline: diese soll die feminine Silhouette eines vollen Rocks mit der Praktikabilität eines kürzeren Saums verbinden.
Schon vor den Roaring Twenties verhilft Irene Castle dem Bob in den USA zu Popularität, vorher ist er eher kontrovers – „wer verschandelt sich schon freiwillig“, fragen sich so einige.

Quellen 1 2 3 4 5 6
Auch dieses Mal sollt ihr nicht ohne musikalische Begleitung bleiben
George Robey and Violet Loraine, If you were the only girl in the World
Original Dixieland Jass Band, Livery Stable Blues
The American Quartet, Moonlight Bay
Marion Harris, I Ain't Got Nobody Much
Original Dixieland Jass Band, At the Darktown Strutter’s Ball
Heidelberg Quintet, By The Beautiful Sea
Henry Burr & Albert Campbell & Will Oakland, I’m On My Way to Mandalay
John McCormack, It’s a Long Way to Tipperary
Arthur Collins & Byron Harlan, Alexander's Ragtime Band
Edward Hamilton, Pack Up Your Troubles in Your Old Kit-Bag, and Smile, Smile, Smile
Ada Jones & Billy Murray, Come Josephine in my Flying Machine
Peerless Quartet, Let Me Call You Sweetheart
Sophie Tucker, Some Of These Days
Arthur Fields, Oh, How I Hate To Get Up In The Morning
Anna Wheaton & James Harrod, Till The Clouds Roll By
The March of the Women
W. C. Handy, The Memphis Blues
Ben Selvin, Dardanella
Marek Weber, Mariposa
Marie Lloyd, A Little Of What You Fancy Does You Good