Der Artikel ist zehn Jahre alt und ich vermute, seitdem hat sich doch ein bißchen was verändert. Schade, daß der Herr sein Bild nicht dazu zeigt, so daß wir auch sein Aussehen mal kritisch unter die Lupe nehmen könnten, es kritisiert sich immer leicht über eine Alters- und Geschlechtsgrenze hinweg
Ich finde den Konformismus auch schade, der z.B. meine Oma bewegt hat, sich von ihrem Dutt zu trennen und statt dessen eine "praktische Frisur" geschnitten zu bekommen, die regelmäßig gelegt und gefönt werden mußte. Alle ihre Freundinnen hatten dieselbe Frisur - bis auf eine, die ein stahlgraue, sehr schöne Hochsteckfrisur hatte, was aber als altmodisch angesehen wurde.
Daß sich ältere Menschen, auch Männer, in beigen Windjacken, beigen Frisuren und vernünftigen Schuhen uniformieren, tut mir manchmal auch leid - ich erkenne deutsche Touristen mittleren Alters oft am Flughafen an diesem Einheitslook, und ich frage mich auch, wie viele von ihnen den wirklich schön finden und wie viele nur aus Einfallslosikgeit so gekleidet und frisiert sind.
Aber man darf nicht vergessen, daß es viele Menschen gibt, denen das nicht so wichtig ist und die damit zufrieden sind, "vernünftig" auszusehen und fertig. Meine Oma hat sich nie um ihr Aussehen geschert und den Optimierungswahn, den wir teilweise betreiben, hat sie eher auf ihren inneren Menschen gewandt - wir treiben ja teilweise wirklich einen Kult mit Haaren, Haut, Fingernägeln und Bauchdecke, den andere Generationen so noch nicht kennen. Weil sie zwischendurch mal ein paar andere kleine Probleme hatten, wie Diktatur, Krieg, Vertreibung und Wiederaufbau. Und da kann man sich eigentlich eine Scheibe davon abschneiden, daß sie eben ihre Individualität nicht per Kleidung und Haar ausdrücken, sondern auf andere Art und Weise.
Und sind andere Altersgruppen denn so viel non-konformer? Die Mainstream-Kultur der 30jährigen hat auch einen Einheitslook, der Autor sagt auch selbst, daß die Jugendlichen, Nerds, ja eigentlich jede Gruppe ihren Look hat. Ist auch eine Milieusache. Manche Milieus sind toleranter "Ausreißern" gegenüber (ich erinnere an die Sinus-Studie mit ihren drei Stufen der "Liberalisierung"). Künstler laufen verrückter rum als Rechtsanwälte, Großstädter haben mehr Auswahl an Läden und eine andere Toleranzschwelle als Kleinstädter. Und es ist doch schön, daß es diese Variationen gibt.
Und wir hier als Subkultur

haben auch unsere Normen. Menschen sind nun mal Gruppentiere, wir orientieren uns gern nach anderen, das hilft ja auch. "Draußen" guckt man auf graue Zöpfe mit Mißfallen, wir feiern sie. Dafür runzeln wir die Augenbrauen beim gefrosteten, gesträhnten "kessen Longbob", den die Nachbarin stolz spazierenführt. Jeder hat seine eigenen Scheren im Kopf, der eine bewußter, der andere unbewußter. Und jeder in seinem eigenen Bereich.
Als die Generation, über die der ZEIT-Autor etwas herablassend urteilt, jung waren, war eben, wie er selbst bemerkt, der dauergewellte Kurzhaarschopf der letzte Schrei.
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Und das findet man dann eben weiter schick. Ich werde auf ewig mit Big Hair infiziert sein, ich finde aufgeplusterte Haare schöner als glatte, das werden meine Töchter nie verstehen, aber wenn man in den 80ern seine schickste Zeit hat, dann wird man das eben nie los
Deswegen, Toleranz. Es ist billig, auf anderen Generationen rumzuhacken. Und der Journalismus tut das Seine dazu, die Menschen auf Einheits-Denken und -Aussehen zu trimmen - die ZEIT, auch wenn sie sich als Sprachrohr der Nonkonformisten sieht, nicht weniger als andere Medien. Liegt nun mal in der Natur der Medien.
Ob man das sich verändernde Aussehen mit den Jahren als problematisch empfindet oder annehmen kann, ist eine andere Frage. Ich schwanke da. Mal bin ich vergnügt, daß mit 50 Jahren der Lack ab ist und ich ich niemandem mehr gefallen will, muß oder soll. Und mal bedaure ich, daß ich die Jahre, in denen ich "jung und hübsch" aussah, nicht besser genutzt habe, sondern mich wegen Quark fertiggemacht habe.
Wie heißt es doch? Jugend ist an Jugend glatt verschwendet, sie weiß sie nicht zu schätzen!
Und: die Toleranz, die ich von anderen fordere, muß ich ihn auch entgegenbringen, sonst bin ich Heuchler. Das gilt auch für Blauguß-Dauerwellen, die seit 30 Jahren gut sitzen.