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Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 02.06.2015, 20:57
von Mata
Ich möchte mich auch gegen "abgefressene Stoppeln" verwahren. So abwertende Bezeichnungen finde ich absolut grenzwertig. Ich möchte nicht mit solchen Wörtern belegt werden und sie nicht gegen andere benutzt sehen.

Im Namen der Evolution werden uns alle möglichen Theorien verkauft, Beweise gibt es keine. Und da Merkmale in lebenden Populationen nach Gauß verteilt sind, incl. Haardicke und -Umfang, haben auch Menschen mit Feenhaaren gute Chancen auf dem Gen-Verschickungs-Markt.

Um zu verstehen, woher die Kurzhaar-Mode kam, ist es nützlich, Bücher zum Thema Schönheit etc aus der Vergangenheit zu lesen. Das Schönheitsideal der Hollywood-Filme hatte meist relativ kurze Haare - Rita Hayworth oder Veronica Lake waren eher Ausnahmen. Seit den 20er Jahren mit dem Bubikopf waren kürzere Haare ein Zeichen von Jugend, weil die älteren Damen ihre langen Haare nicht abgeben wollten.

Kurze Haare sind seitdem Modeartikel - jede Saison wird anders geschnitten, gefärbt und gestylt. Das kann man mit langen Haaren nicht im selben Maß mitmachen. Die sind zwar jeden Tag zu einer anderen Frisur imstande, aber immer im großen Rahmen "Langhaarfrisuren".

Soweit ich die Sache verstehe, war der endgültige Wendepunkt zugunsten der "Haare mit Haarschnitt" (statt einfach nur "Haaren") die Erfindung des Stufenschnitts durch Vidal Sassoon. Vorher mußten kurze Haare nachts aufgedreht werden. Viele Frauen gingen einmal die Woche zum Friseur, egal welche Länge sie hatten, um die Haare waschen und legen zu lassen. Einfach trocknen lassen ging nicht.

Sassoon führte eine Schnitt-Technik ein, mit der die Haare nach dem Waschen einfach in Form fallen. Außerdem hat der Stufenschnitt eine neue Ästhetik gebracht, die Abwechslung von fallendem Haar und "Schnittlängen". Man muß sie zwar immer nachschneiden lassen, aber wenn man das macht, hat man mit einem Stufenschnitt, so er gut geschnitten ist, viel mehr Unabhängigkeit vom Friseur als vorher. Kein Festiger mehr, keine Lockennadeln, keine Trockenhaube.

Gleichzeitig hat sich auch für langes Haar die schlichte Variante durchgesetzt: Haare einfach offen tragen. Wir mit unserer Duttkultur sind eher die Minderheit - wie viele Duttfrisuren mit Forke seht ihr in freier Wildbahn? Ich sehe etwa einmal im Monat einen Dutt mit Haarstäben, wenn´s hochkommt. Die meisten Langhaare tragen die Haare doch offen oder so hochgewurschtelt mit Kralle, und wenn sie abbrechen, wird halt nachgeschnitten. Hab ich selbst viele Jahre lang so gemacht.

Und um den Bogen zurück zum Alter zu schlagen: wer lange Haare aus Modegründen getragen hat und nicht aus Überzeugung, wird sich, wenn er älter wird, gern wieder kurz schneiden lassen.

Dazu kommt die Vorstellung, daß ältere Frauen "Kontrolle" über ihr Aussehen haben müssen. "Vernachlässigung" verzeiht man jungen Mädchen, aber nicht gestandenen Frauen. Zur "Kontrolle" gehört ein Haarschnitt, der regelmäßig erneuert werden muß.

Wenn man einer Frau wie mir ansieht, daß sie seit Jahren nicht beim Friseur war, kommt das eben vielen Leuten komisch vor. Irgendwie ungehörig. Ungepflegt.

Ich bin mir sicher, daß viele hinter meinem Rücken denken, "nun ist es aber gut, jetzt können die Haare aber was kürzer".

Und insgesamt hat die Gesellschaft für Frauen, die nicht mehr im "fruchtbaren Alter" sind, wenig Geduld. Wir haben die Wahl, entweder "partout auf jung" zu spielen, oder uns "gehen zu lassen". (So wie wir die Wahl haben zwischen dummem Hausmütterchen, herzloser Rabenmutter und unweiblicher alter Jungfer ;-) ) Um möglichst wenig Anstoß zu erregen, ist es immer die sicherste Nummer, sich anzupassen.

Jede(r) von uns sucht seine eigene Lösung. In manchem paßt man sich dem geraden herrschenden Ideal der Gepflegtheit an, in anderen Dingen nicht. Ich schminke mich, rasier Beine und Achseln, trage hohe Absätze und habe manikürte Hände, also angepaßt. Aber ich kleide mich nicht modisch, trage lange Haare im Dutt, das ist meine Verweigerung.

Ich urteile aber nicht über andere, deren Formel anders aussieht, die z.B. supermodisch gekleidet sind und wechselnde gestylte Kurzhaarfrisuren tragen. Ich sehe selbst, daß die schicker aussehen als ich, auch jünger. Aber zu mir würd´s eben nicht passen, ich würde mich verkleidet fühlen. Gerade deswegen finde ich es wichtig, alle persönlichen Entscheidungen in der Richtung zu respektieren, nicht nur meine eigene.

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 02.06.2015, 21:33
von Lianna
Ich möchte auch eine kleine Geschichte erzählen:
Eine Freundin von mir sagt begeistert über meine langen Haare, ob ich ihr versprechen könnte, sie nie abzuschneiden, weil sie viel zu toll wären. Eine andere Freundin mischt sich ein und lacht: "Na ja, ok, wenn du 40 oder so bist, dann erlauben wir es dir schon. Aber nicht vorher :wink: ".
Ich hab nichts gesagt, weil ich keine Diskussion lostreten wollte, aber am liebsten hätte ich sie gefragt, was die Zahl 40 mit meiner Haarlänge zu tun hat.

Die biologischen Gründe für lange Haare halte ich für plausibel. Schon deswegen, weil ich einfach kaum Frauen in meinem Alter (U30) sehe, die eine Kurzhaarfrisur tragen. Mit Kurzhaarfrisur meine ich jetzt nicht schulter- oder kinnlang, sondern Pixi oder so. Der Trend der Kurzhaarfrisur beginnt in einem Alter, wo die meisten Frauen eben nicht mehr auf "Männerfang" sind. Natürlich lässt sich das nicht verallgemeinern, weil wir glücklicherweise in einer Zeit/ einem Land leben, wo wir unsere eigenen Entscheidungen treffen dürfen und es gibt einige Frauen U30, die sehr kurz aus Überzeugung tragen. Aber die Durchschnittshaarlänge liegt in dem Alter wohl bei APL oder länger. Das heißt die meisten Frauen mögen langes Haar, schneiden sie sich später aber trotzdem ab.

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 02.06.2015, 22:25
von schnappstasse
Ach Mata, der Ausdruck "Chancen auf dem Gen-Verschickungs-Markt" war die ganze Sache jetzt echt wert. Danke dafür!

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 02.06.2015, 22:57
von wuschlon extraordinaris
Es war ja auch nicht so gemeint, dass alle heutigen Kurzhaarfrisuren abgefressene Stoppeln sind, aber eine Urzeitfrau mit kurzen Haaren hätte wohl massiven Haarbruch oder Haarverlust gehabt und sicher kein gesundes Haar. Wer heute kurze Haare trägt, denkt sich wahrscheinlich schon etwas bei seinem Haarschnitt.
Und Feenhaar hat überhaupt Nichts mit ungesundem Haar zu tun. Es gibt traumhafte lange seidige Haare, denen man die Gesundheit ansieht, die aber keinen großen Zopfumfang haben.
Die absolute Haarkontrolle habe ich früher auch bei langhaarigen älteren Damen gesehen. Ich kannte welche, bei denen aus der Hochsteckfrisur aber nicht ein Häärchen aus der Reihe getanzt ist.

Die Kurzhaarigen, die ich länger kenne, wechseln auch nicht ihre Frisur mit den Trends, sondern haben immer die gleiche Frisur, was ich auch nicht unangenehm finde, weil man die Menschen eben mit bestimmten Frisuren kennt und es irgendwie irritieren würde, wenn sie dauernd völlig anders aussähen.

Nochmal zur Klarstellung habe ich das, was ich drüben im Unzufriedenheitsthread geschrieben habe, hier herüberkopiert:
OK, es war wahrscheinlich unglücklich formuliert, aber in der Diskussion ging es darum, wo lange Haare für Frauen überhaupt herkommen, und ich denke nicht, dass sie aus der Bibel kommen. Ich sehe nicht jede Kurzhaarfrisur als abgefressene Stoppeln, aber das wäre eben der maximale Kontrast zum langen Haar und sicher das, was eine kranke Urmenschenfrau gehabt hätte bei der die Haare abbrechen oder ausfallen.
Und in einem Thread, wo es darum geht, dass langhaarige Frauen von Kurzhaarigen gezwungen werden, sich die Haare auch kurz zu schneiden, bin ich diesen Kurzhaarigen, die das verlangen, nicht gerade zugeneigt, das gebe ich zu. Jeder kann mit seinem Haar machen, was er will, aber Zwangskurzhaarigkeit finde ich nicht in Ordnung, genauso wie ich Zwangslanghaarigkeit nicht gut fände. Mir wurden von Kurzhaarigen die Haare gegen meinen Willen abgeschnitten, da werde ich dann vielleicht schonmal biestig, wenn es um zwanghaftes Haare abschneiden geht. Für mich ist das ein ebenso sensibles Thema, wie für manche offensichtlich Feenhaare, wobei ich feines Haar gar nicht unbedingt negativ sehen würde.


Nochmal zur Evolution: Wenn niemand oder kaum jemand im Laufe der Evolution die Haare lang getragen hätte, wären menschliche Kopfhaare nicht so lang wie sie nunmal sind. Offensichtlich wurden Menschen mit langen Haaren häufiger bei der Partnerwahl bevorzugt, sonst hätte sich das evolutionär nicht durchgesetzt. Das heißt natürlich nicht, dass heute jeder so rumlaufen muß, aber rein von der Biologie her sind Menschen langhaarig, wenn sie Nichts mit ihren Haaren machen würden, und zwar sowohl Männer als auch Frauen. Es gibt also eigentlich auch keinen Grund, einen langhaarigen Mann als weniger männlich anzusehen, womit ja manche Langhaarmänner leider zu kämpfen haben. Vielen Männern gehen aber früh die Haare aus und diese androgenetische Alopezie hat sich genetisch trotzdem weiter verbreitet, weshalb ich darauf schließen würde, dass langes volles Haar evolutionär gesehen bei Männern weniger wichtig war als bei Frauen.

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 03.06.2015, 17:56
von Sanna
Ich verstehe aber jetzt immer noch nicht, weshalb ich mit 40 ausgedient habe, bzw. weshalb sich mein bereits gefangener Mann nicht mehr an langem Haar erfreuen darf ?
Es ist ja nicht so das ich mich in einer festen Partnerschaft dann gehen lassen darf, oder meine evolutionären Reize ablegen muss.
Oder ist das so, das man dann Züchtigkeit auszustrahlen hat und keine anderen Männer mit seinem Anblick erfreuen darf ? :gruebel:
Irgendwie ist mir das zu hoch, ich hoffe mit 40 erlange ich dann diese Erkenntnis, warum es so ein Skandal ist noch langhaarig zu sein.

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 03.06.2015, 19:20
von joeymc
@Wuschlon
Ein Beleg dafür, dass die biblische Sichtweise durchaus etwas mit der Haarlänge zu tun hat, ist, dass kurz nach der Aufklärung zum ersten Mal seit der Antike wieder Kurzhaarfrisuren in Mode kamen - und diese Mode ging vom im späten 18. Jahrhundert sehr säkularisierten und antikirchlichen Frankreich aus. Und als es mit Napoleon ein Ende hatte, war es mit dieser Mode auch vorbei.

@Mata: Danke für deine interessanten Ausführungen zu Vidal Sassoon! Zeitlich sind das ja die 50er, oder? Das ist mir zu neu ;), ich bin ja mehr auf römische Antike bis 19. Jahrhundert spezialisiert, alles ab 1900 ist mir sehr neu ;)

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 07.06.2015, 19:50
von Riddles
Sanna hat geschrieben:Irgendwie ist mir das zu hoch, ich hoffe mit 40 erlange ich dann diese Erkenntnis, warum es so ein Skandal ist noch langhaarig zu sein.
Genau, ich bin schon sooo gespannt, nächsten Monat ist es so weit. Kann es kaum erwarten endlich eingeweiht zu werden, werde dann berichten. :D

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 07.06.2015, 20:39
von MumLadw
Ich wäre Dir dankbar, ich hab anscheinend damals nicht aufgepaßt.
Inzwischen bin ich über 50 und verstehe es immer noch nicht.

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 07.06.2015, 21:29
von Rapunzelchen
Wer weiß, ob ich nicht mal nächstes Jahr darum gebeten werde, meine langen Haare doch endlich mal abzuschneiden? - Darauf würde ich wohl sagen, daß das Alter überhaupt nichts mit der Haarlänge zu tun hat und sich diejenige Person besser um ihre eigenen Probleme kümmern sollte.

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 08.06.2015, 18:50
von joeymc
Also ich bin 45, und mir hat noch nie einer gesagt, dass ich abschneiden sollte. Im Gegenteil, alle wollen immer, dass ich mal meinen Dutt aufmache... ;)

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 08.06.2015, 20:43
von ackerwinde
Ich hab festgestellt, dass ab einer gewissen Länge (Klassik und mehr), die Abschneide-Rufe verstummen. Warum? Vielleicht werd ich mittlerweile milde lächelnd als Freak abgetan.^^ Oder es ist sowas wie Ehrfurcht vor der Länge. Keine Ahnung. Jedenfalls höre ich schon länger nicht mehr, dass ich sie doch mal schneiden solle. Das fiel mir grad eben beim Lesen der Beiträge hier so auf.

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 08.06.2015, 21:18
von ~Pandora herself~
Nicht direkt ein Kommentar oder sowas, aber es hat mich heute doch irgendwie erstaunt.

Wir behandeln zurzeit Jugendpsychologie im Psychologieunterricht und heute hat unsere Lehrerin eine Zeichnung aufgelegt, auf der man eine Frau mit ihrem Kind sieht. Anfangs ist das Kind noch klein und die Frau noch jung (das Kind läuft hinter der Frau her). Bei der zweiten Zeichnung ist die Frau etwas älter und das Kind läuft nicht mehr so willig hinterher. Bei der letzten Zeichnung ist das Kind erwachsen und läuft in die entgegengesetzte Richtung wie die Frau. Bei der Zeichnung ging es darum, dass sich Kinder in der Pubertät immer weiter von ihren Eltern entfernen.
Mir ist dabei aufgefallen, dass die Haare der Frau immer kürzer wurden. Von anfangs fast Taille, zu Schulter und dann zu Streichholzfrisur. Ich fand das irgendwie interessant und hab mich gefragt, ob der Zeichner das absichtlich oder unbewusst so gemacht hat.

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 08.06.2015, 21:36
von Sanna
Das wäre mal eine gute Frage für den Psychologie Kurs gewesen Pandora ^^

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 08.06.2015, 21:40
von ~Pandora herself~
Das dachte ich auch grade :mrgreen:

Re: Über 40 - Haare ab oder in mit langem Haar?

Verfasst: 08.06.2015, 22:51
von Vada
ich hab noch nie den Rat gehört, dass ich doch bitte meine Haare abschneiden lassen sollte.
nur einmal als der ansatz arg rausguckte: ui, du bist ja grau!
dazu ein tieferer blick ins gesicht und die erkenntnis: die frau ist älter als gedacht *schmunzel*

na jedenfalls finde ich lange haare - egal in welchem alter und welcher farbe - für frauen fast immer passend. und ich käme nie auf die idee so stark in den intimbereich irgendeiner frau einzugreifen, indem ich ihr irgendwelchen rat zu ihrer haarlänge geben würde.

ps: mein mann würde mich, glaub ich, verlassen, wenn ich die haare abschneiden lassen würde