Nein nein, keine Schande über irgendjemanden. Da sieht man wieder mal, wie schwierig Epochen- und Stilbezeichnungen auseinanderzuhalten sind.
Grob gesagt: Mittelalter und Barock sind besessen von Todesmotiven - der Tod als Gleichmacher, als Drohung, als Verführung, als Einbruch des Schreckens. Renaissance und Klasizismus dagegen interessieren sich viel weniger für das Motiv.
Wenn man rein nach der Epoche klassifiziert, ist Grien eindeutig Teil der deutschen Renaissance. Wenn man aber nach Mentalität und Stil fragt, kann man Grien auch als Zeugen für eine barocke Faszination mit dem Tod zitieren. Dann paßt er nämlich gut zu Gedichten wie von Gryphius, ich nehme mal an, um sowas ging es in der Stunde?
http://hor.de/gedichte/andreas_gryphius ... _eitel.htm
Es ist alles eitel
Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo jetzund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden;
Was jetzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach, was ist alles dies, was wir vor köstlich achten,
Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
Als eine Wiesenblum, die man nicht wieder find't!
Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten.
Das ist 17. Jahrhundert, also Barock. Als Literaturlehrerin würde ich da vermutlich auch Grien zeigen, ist historisch und motivisch nah genug, auch wenn Grien gute 100 Jahre älter ist. Es zeigt auch wieder, wie ungenau und eigentlich nutzlos diese Einteilungen sind. Wie gesagt: unterscheiden zwischen der Epoche Barock und dem Stil Barock.
Die Faszination mit dem Tod ist natürlich allgemein menschlich, aber manche Epochen gehen an die Beziehung Mensch-Tod heran, als wäre der Tod ein Mensch, eine Personifikation wie in der griechischen Mythologie. Dann ist der Tod gierig nach Menschen, er begehrt schöne Frauen, und die geben sich ihm trotz seiner Häßlichkeit hin. Warum? Nach damaliger Auffassung sind Frauen nur Spiegel des mänlichen Begehrens, dh, wenn es auch der Tod ist, der sie begehrt, müssen sie sich ihm ergeben. Oder sie glauben, der Tod macht eine Ausnahme für sie, wenn sie sich ihm ergeben... sleeping with the boss, gewissermaßen.
Außerdem liegt ein ästhetischer Reiz im Verführerischsten (der schöne, junge Frauenkörper) und im Abstoßendsten (die verwesende Leiche, mit der der Tod oft dargestellt wird).
Im Mittelalter ist der Tod die absolute und gefürchtete Katastrophe. Der Tod ist der Feind der Christenheit, er ist Gottes Strafe für die Erbsünde, mit der die Menschen behaftet sind. Die Renaissance wendet sich wieder klassischen Motiven zu, wenn sie den Tod als einen Bruder des Schlafs nennt und ihn wesentlich schöner und weniger bedrohlich darstellt.
Mittelalterliche Grabmale zeigen oft von Würmern zerfressene Leichen - in der Renaissance bevorzugt man idealisierte Darstellungen schlafender Toter auf dem Sarkophag oder allegorische Figuren wie bei Michelangelo. Damit zeigt sich auch langsam eine Säkularisierung der Menschen - die christliche Lesart von Leben und Tod ist nicht mehr die einzige.
Wenn man eine mittelalterliche Darstellung der Pieta mit der von Michelangelo vergleicht, sieht man diese Renaissance-Vorliebe für das Harmonische deutlich. Auch der Tod wird noch ästhetisiert. Das Mittelalter ist viel morbider und damit Inspiration für Surrealisten, Expressionisten und andere moderne Künstler, die die Renaissance-geprägten Formen zerbrechen wollen.
Somit ist Grien wirklich schwer einzuordnen. Er hat die mittelalterliche Vorliebe für Hexen, Satan, Tod und ähnliche Drohfiguren der christlichen Prediger, die auch in der Renaissance gerade in Deutschland noch sehr präsent waren - seine Formensprache ist, wie viele nordeuropäische Renaissance, eher manieristisch als italienisch-klassisch, und seine Beschäftigung mit dem Tod weist schon auf barocke Wiederaufnahme des Themas hin.
Aber wirklich, die Epochen-Einordnung Griens ist das am wenigsten Interssante an ihm
Hat es unbefangene Betrachter nicht überrascht, daß die Bilder schon relativ "alt" sind? (Alt ist relativ, ich finde Renaissance zeitlich recht nah...) Sieht Grien nicht modern aus? Oder kommt es nur mir so vor?