Hallo,
das ist ein Thema, welches sehr weit gefächert ist - nicht nur auf Haare bezogen. Zum ersten Mal bin ich auf das Thema Cultural Appropriation gestoßen, als ich im Internet zufällig etwas über die Schauspielerin Ellen Pompeo las, die in einem ihrer Twitterbeiträge ein Emoticon mit braunen Händen verwendet hatte - als Unterstützung für die Black Community. Daraufhin entbrannte ein Shitstorm, das wäre kulturelle Aneignung und sie hätte ihre weißen Hände von den braunen Emoticons zu lassen; die wären nur für POC (People of Color) reserviert. Dann noch die Sache mit dem Tragen eines Badeanzugs in den Farben Jamaikas, welche der Sängerin Adele böse auf die Füße fiel. Mir selbst ist so etwas auch schon passiert. Ich hatte mir in Ägypten seinerzeit einen Kettenanhänger aus Gold mit einer Koransure gekauft - toll gearbeitet, in Roségold und gar nicht so ein gestanztes Kartuschenblech mit altägyptischen Motiven, wie es normalerweise den Touristen verkauft wird. In Ägypten war es kein Problem, den Anhänger zu tragen. In Deutschland sprach mich auf der Straße ein Muslim an, ich solle diesen Anhänger nicht tragen, da ich keine Muslima sei. Sicherlich gibt es auch konvertierte deutsche Muslimas, die so etwas tragen - wahrscheinlich fehlte das Kopftuch dazu, auch wenn nicht alle Muslimas eins tragen ... nunja ...
... hier soll es ja um Haare gehen. Mir fällt an dieser Stelle das
Video ein, das Twenty-three vor einem Jahr
hier im Filme- und TV-Thread verlinkt hatte.
Ich habe es mir angeschaut und es geht darin um die Diskriminierung, die Leute mit Afrohaaren auf Arbeit oder anderswo erfahren mussten. Ganz am Schluss - ab 22:22 im Video - wird thematisiert, dass Weiße Afrostämmige häufig nach der Haarpflege fragen und auf diese Frage haben die verschiedenen Sprecher afroamerikanischer Herkunft eine gepfefferte Antwort parat, die den Eindruck vermittelt, dass solche Fragen unerwünscht und lästig sind. Aber warum nun dieser fulminante Abschluss eines Videos, das doch für Verständnis und Sensibilität sorgen soll? Ist es bereits Cultural Appropriation, nach Afrohaarpflege zu fragen?
Die Frage ist, warum man sich "angetastet" oder eben "cultural appropriated" fühlt, wenn ein Weißer eine Frisur hat, die den Afrostämmigen zugeschrieben wird. Erinnert mich ein bisschen an das Mädchen, das ein anderes in der Schule nachahmt, um dazuzugehören und das nachgeahmte Mädchen sagt dann: "Mimimi, die soll mir aber bitte nicht alles nachmachen!" Auch hier ist es nicht unbedingt die Kopie an sich, die das nachgeahmte Mädchen verstört, sondern die Tatsache, dass sie das Mädchen, dass sie nachahmt, nicht leiden kann, also auch im Äußeren gerne von sich fernhalten möchte, während die andere ihr mit dem gespiegelten Äußeren auf die Pelle rückt, weil sie vielleicht dazugehören will? Bei Freundinnen hingegen hätte sie womöglich gar nichts dagegen, von ihnen nachgeahmt zu werden. Man sieht ja häufig Gruppen von Mädchen auf der Straße, die ähnlich gestylt sind.
Warum nun will das eine Mädchen dem anderen näher sein und ahmt sie nach? Mir ist in dem Zusammenhang auch ein Experiment eingefallen, wo es um das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß geht, nämlich "
Black. White", eine Reality-TV-Show, produziert von Rapper Ice Cube und Regisseur R.J. Cutler 2006. Darin tauschen eine schwarze und eine weiße Familie die Rollen, werden von Stylisten in Schwarze und Weiße umgeschminkt und leben dann auch in dem jeweils anderen Umfeld. Bei der Befragung danach ergab sich, dass sich die Weißen als Schwarze verkleidet wesentlich besser gefühlt hatten als umgekehrt. Ich glaube, dass es viele Weiße gibt, die schwarze Kultur als sehr positiv bewerten, vielleicht auch etwas romantisieren, aber sich eben dazu hingezogen fühlen, weil sie sie als sozialer, als menschlicher empfinden - als Ausgleich zum kalten, rationalen Westen. Ja, auch das sind Klischees, aber häufig stimmen sie eben auch.
Aber wieso reagieren einige Afrostämmige (und deren weiße Unterstützer) nun so negativ auf derartige kulturelle Aneignung? Mir kommt es vor, als sei das Äußerliche an Menschen afrikanischer Abstammung, inklusive von Kleidung oder eben Haargestaltung, für einige Leute eine Art Heiliger Gral, ein Refugium, das nur ihnen gehört und bitteschön von niemandem außerhalb behelligt und gestohlen werden darf. Ich kann das sogar verstehen als eine Art Reaktion auf die Dominanz der Weißen in weiten Gebieten dieses Planeten, der man auf diese Art und Weise zumindest in bestimmten Bereichen entgehen will. Gleichzeitig ist dies eine Art der Abgrenzung, die Weißen fernzuhalten, um einen Rückzugsort zu haben, der in einer Welt, wo Wissenschaft, Politik und Wirtschaft von Weißen dominiert werden, unantastbar ist und auf dem man die Oberhand und alleinige Deutungshoheit hat.
Für mich ist dieses Zurückweisen der Weißen aus dem Gebiet der als afrikanisch empfundenen Kultur eine Art Abwehrreaktion, um sich in einem geschützten Raum ungestört zu emanzipieren - möglicherweise, um später, wenn eine Gleichheit erreicht ist, den Weißen als gleichberechtigt gegenüberzutreten - eine Phase also, die hoffentlich dann enden wird, wenn die schwarze Mittel- und Oberklasse weiter gewachsen ist. Es gab mal einen Film, wo eine Fluggesellschaft Flüge vor allem an afroamerikanische Bedürfnisse angepasst anbot - ich weiß leider nicht mehr, wie er heißt. Ich sehe darin die Sehnsucht nach Gleichheit, danach, als Mensch in einer Gesellschaft zu leben, die mich vorbehaltlos akzeptiert - als Mitglied einer Mehrheit. Und da die Unterschiede im Fühlen und Denken aber noch so groß sind, wird diese Mehrheit eben dadurch geschaffen, indem man sich abschottet und unter Gleichen bestimmte Rituale zelebriert und Bräuche lebt.
Irgendwann wird es hoffentlich so weit sein, dass es nicht mehr thematisiert wird. ob eine Sängerin namens Ronja Maltzahn Dreadlocks trägt oder nicht - genausowenig, wie es je ein Thema war, dass Beyoncé sich die Haare glätten und blond färben lässt oder eben rot wie Rihanna.
LG
Fornarina