Hui, hier ist ja eine echte Diskussion entstanden - das freut mich!
Alanna hat sehr schön zusammengefasst, was ich meine.
Wenn jemand dem potenziellen Kunden seine Produkte schmackhaft machen will mit der Aussage
"Seit 1936 ließ Dr. George Michael das Thema Haare keine Ruhe mehr. Nach Abschluss des Medizinstudiums schrieb er seine Doktorarbeit darüber."
http://www.george-michael.de/de/unterne ... e-michael/... dann lese ich das als "unsere Produkte sind toll und zwar deshalb, weil sie von jemandem stammen, der darüber promoviert hat". Oder, anders gesagt: George Michaels Dissertation wird als Legitimation der Werbeaussage angegeben.
Und gerade deshalb wundert es mich so, dass ich weder diese Dissertation, noch sonst irgendwelche [wissenschaftlichen] Veröffentlichungen von dem Menschen finde.
Ich meine, jeder kann ein Buch darüber schreiben, dass die Aliens vor 11000 Jahren der Menschheit zu den ersten Hochkulturen verholfen haben und dass es das Mittelalter nie gegeben hat. Nichts für ungut, aber ähnlich kühn kommen mir manche der gängigen Thesen aus den George-Michael-Büchern vor.
Hätte ich jetzt Zugang zu den Ergebnissen seiner zugrundeliegenden Forschung, könnte ich selbst nachvollziehen, worauf die Ratschläge, die er gibt, basieren und was es damit auf sich hat. Denn ich als Lebenswissenschaftlerin könnte eine wissenschaftliche Publikation nicht nur viel besser lesen und verstehen als ein Buch, sondern ein Artikel hätte eben auch eine Art Autorität: Forschungsergebnisse, die ihrer Natur nach reproduzierbar sind, sind für mich tausendmal glaubwürdiger als populärwissenschaftliche Erklärungen, die nach spätestens zwei Stufen von Nachfragen auf "ist eben so" enden. Um den Laien nicht zu überfordern, ist letzteres in einem Ratgeber-Buch super angebracht. Aber es hat keinen Anspruch auf Richtigkeit. Den hätte in meinen Augen eben nur eine wissenschaftliche Veröffentlichung.
Warum mich das so stört?
Wie gesagt, jeder Mensch kann sich hinsetzen und ein Buch schreiben. Gerne auch über blaugrün schimmernde Geistwesen, die nachts den Staub unterm Bett ausstreuen, über den man sich beim putzen so ärgert.
Aber: wenn man das für wahr und richtig erklärt,
indem man angibt, der Autor des Buches habe schließlich über den Staub unterm Bett promoviert, dann möchte ich diese Arbeit lesen, bevor ich ihm glaube.
----
Ein Beispiel:
Es heißt also, das Haar sollte am besten stumpf geschnitten werden. Begründung: Die Natur[TM] hat es so eingerichtet, dass alle zu kurzen Haare rausfallen, sodass alles auf einer Länge landet.
In meiner Beobachtung gibt es damit zwei Probleme:
1. Wenn man Haare lässt, wie sie wollen, entsteht kein blunt cut, sondern Fairytale Ends. Das funktioniert bei so ziemlich allen Menschen, aber beispielhaft sag ich nur mal kurz zur Erinnerung "Silberfischchen". Und zwar deshalb, weil die Haare irgendwann statistisch eben doch alle etwa gleichlang sind. Aber
im Durchschnitt und
ab der Kopfhaut. Blunt cut sieht anders aus, wie wir alle wissen.
2. Jeder Mensch verliert am Tag eine Handvoll Haare. Manche 10, andere 200. Die fallen aus, dann bildet die Wurzel ein neues Haar, und das wächst dann nach. Und je nach sonstiger Haarlänge kann das Jahre dauern. Warum funktioniert das? Müssten sie nicht alle ausfallen unterwegs, weil sie zu kurz sind? Tun sie aber nicht.
Ich kann die gegebene Begründung nicht mit meinen eigenen Beobachtungen vereinbaren. Also brauche ich entweder Literatur zum Thema, die mir das erklärt, oder ich muss mein Pseudowissenschafts-Bullshitbingo rausholen und ein neues Feld dafür anlegen.
----
Achso, Disclaimer:
Ich möchte
nicht über die Person George Michael lästern.
Aber ich finde es hochgradig unwissenschaftlich und gefährlich, wenn Dinge, von denen manche nach gängigem Wissensstand bestenfalls als Halbwahrheiten durchgehen können, für richtig erklärt werden und das
mit dem Verweis auf Forschungsarbeit geschieht, die für den interessierten, naturwissenschaftlich ausgebildeten Menschen nicht zugänglich ist (und der Kult um die Biographie dieses Menschen einen irgendwann daran zweifeln lässt, ob sie überhaupt [noch] existiert).
edit: Schreibfehler