ich weiß nicht, ob es hierhin passt, aber ich musste letztens einen Essay in einem Seminar (Einführung in die Kulturwissenschaften) schreiben. Mein Thema war "Haare". Vielleicht interessiert es ja den einen, oder anderen. Ist nicht perfekt, aber ein paar interessante Dinge stehen (hoffentlich) schon drin.
Haare sind schon seit Menschengedenken ein wichtiges symbolisches Kulturgut. Sie gelten je nach Kulturraum als Symbol für Lebenskraft, Stärke, Energie, Macht des Gedankens und Männlichkeit und haben fast zu jeder Epoche und auf allen Teilen der Welt eine Bedeutung. Kulturelle Unterschiede lassen sich leicht an den verschiedenen Vorlieben, Modediktaten und Vorgehensweise des Frisierens ablesen. Der Mensch „verlässt den Naturzustand und betrat den Raum der Kultur“¹.
Schon in der Bibel wurden Haare thematisiert. Samson verlor seine Stärke, nachdem Delilah das Geheimnis seiner Unbesiegbarkeit erfuhr und ihm daraufhin seine Locken stahl. Diese Geschichte trägt eine Kastrationssymbolik, welche dadurch begründet wird, dass Männern mit dem Abschneiden der Haare ihre Männlichkeit und Stärke genommen wird.² Im alten Griechenland galt langes Haar als Geschenk der Götter und stand für Freiheit; Sklaven wurden die Haare abgeschnitten. Die Ägypter versorgten ihre Toten mit Scheren, Kämmen und Lockenstäben auf dem Weg ins Jenseits, galten Haare doch als Statussymbol.³ Im Hinduismus spielt die Art der Frisur auch eine große Rolle. So wird der Gott Shiva mit seinen unordentlichen, filzigen Zotteln als Asket gesehen, während das schwarze Haar von Kali als Symbol der Zeit gilt.
Doch nicht nur in längst vergangenen Epochen hat der Schopf eine symbolische Bedeutung. Auch in jüngerer Zeit ist er persönliches Ausdrucksmittel und hängt vom Schmuckbedürfnis, der mythologischen und sozialen Bedeutung ab, die dem Haar beigemessen wird.
In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine Bewegung gegen das Establishment. Die Hippies ließen sich die Haare lang wachsen, um ihre Einstellung gegen das politische System und vor allem den Vietnamkrieg darzustellen. Ihr „way of life“⁴ war für die ältere Bevölkerung äußerst empörend und die Anhänger dieser Subkultur wurden als „Gammler“ und faul bezeichnet. Lange Haare waren allerdings nicht nur Ausdruck der inneren Einstellung, sondern fungierten auch als symbolon, als Erkennungsmerkmal, für die Anhänger der Hippie-Kultur. In der DDR war diese Entwicklung nicht gern gesehen und es wurden Untersuchungen angestellt, die nicht das erwartete Ergebnis, nämlich, dass Langhaarige weniger intelligent sein sollen, herausbrachten, sie aber westlicher Musik zugeneigt sind. In einigen Teilen der DDR wurden daraufhin gewaltsame Zwangsfriseurbesuche durchgesetzt.⁵ 1972 erschien das Stück „Die neuen Leiden des jungen W. von Ulrich Plenzdorf, wo die Hauptperson Edgar W. sein Lebensideal in langen Haaren und Blue Jeans sah. Das Stück war alles andere als systemkonform und wurde somit anfangs zensiert.
Auch sprachwissenschaftlich betrachtet sind Haare interessant. So hat das deutsche Wort „locken“ zwei Bedeutungen: 1. verführen und 2. gekräuselte Haarpracht. Daran erkennt man ebenfalls die kulturelle Bedeutung, die Haare hatten und haben. Lange Haare können Männer verführen, sie sind sexuelles Symbol. Die Sirenen hatten lange, wallende Mähnen, Medusas Schlangenhaupt verwandelte Männer in Stein und Frauen mit roten Haaren galten lange Zeit als Hexen, dabei hatten sie vermutlich nur eine erotisierende Wirkung auf Männer, die eben damit assoziiert wurde. Jeder kennt das Sprichwort, dass jemand „unter der Haube“ sei. Das geht auf das Hochmittelalter zurück, als junge Mädchen lange Zöpfe und verheiratete Frauen eine Kopfbedeckung, also Haube trugen.
Männer und Frauen drücken also auf die unterschiedlichste Weise ihre Art zu denken mit Hilfe des wandelbarsten Körperteils aus. Zusätzlich wird vorausgesetzt, wenn man Haare als Kulturgegenstand betrachtet, dass „die natürliche Ordnung durch eine vom Mensch erschaffene ersetzt wird“ und „dass diese Ersatzordnung bei verschiedenen Völkern verschieden ausfällt.“ ⁶
Heutzutage ist gepflegtes Haar ein Statussymbol. Es öffnet und schließt Türen. Ein langhaariger Bankangestellter ist leider immer noch undenkbar, da er für einige eine Distanz zu gesellschaftlichen Strukturen ausdrückt und Kurzhaarfrisuren bei Frauen werden oft als feministisch abgestempelt. Selbst im 21. Jahrhundert, dem Zeitalter der Globalisierung, schließen viele Menschen auf Grund der Frisur auf die jeweilige Lebenseinstellung. Seit dem 11. September reagieren viele auf arabisch aussehende Männer mit Vollbart sehr empfindlich und teilweise panisch. An Flughäfen werden sie stärker kontrolliert als andere, da sie ja dem Standardbild eines Islamisten entsprechen, welches von den Medien propagiert wird. In Afghanistan, dem Iran und anderen muslimischen Ländern werden Frauen immer noch gezwungen sich zu verhüllen. Ihre Kultur verbietet es ihnen sich offen zu zeigen, da Haare als besonders anziehend auf Männer gelten. Männer hingegen tragen Bart. Die Propheten machten es vor und daran wird nicht gerüttelt, es wird nicht weiter hinterfragt. Demnach können Haare Ausdruck einer „freien Persönlichkeit“⁷ sein, aber auch eine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Glauben, oder einer Gruppierung.
Haare befinden sich in einem ständigen kulturellen Wandel. Je nach politischen Vorgaben, Modeerscheinungen und auch persönlichem Geschmack varriieren die Frisuren. Wie Pollack sagte: „...kulturelle Orientierungen, Vorlieben, Abneigungen, Verhaltensdispositionen und Deutungsmuster sind nicht nur etwas Vorgegebenes, sondern auch etwas von Menschen Gemachtes, in das Interessen, Gewalt und List eingehen und das er entsprechend seinen Interessen auch beeinflussen, gestalten, ja sogar instrumentalisieren kann. Darin liegt die Berechtigung konstruktivistischer Ansätze.“⁸
Meiner Meinung nach sollten Haare von jedem selbst bestimmbar sein. Im 21. Jahrhundert dürfte es keine Restriktionen geben und auch Ausgrenzungen sei es auf Grund von dünnen, unschönen Haaren ist unmenschlich. Wenn eine Person für sich entscheidet Körperhaare tragen zu wollen, oder kein Kopftuch, dann sollte es ihr, unabhängig der kulturellen Vorgaben, gestattet sein. Was ich dennoch schade finde ist, dass durch die Globalisierung kaum mehr traditionelle Haarprachten getragen werden. Die kulturelle Bedeutung der Haare im ursprünglichen Sinne geht allmählich verloren und verwandelt sich in eine "individuelle Konformität".
¹ Klaus P. Hansen, Kultur und Kulturwissenschaft – Eine Einführung, S. 15
² Wikipedia, Samson,
http://de.wikipedia.org/wiki/Samson
³
http://www.wissen.de/wde/generator/wiss ... 22146.html
⁴ Klaus P. Hansen, Kultur und Kulturwissenschaft – Eine Einführung, S. 13
⁵
http://de.wikipedia.org/wiki/Langes_Haar
⁶ Klaus P. Hansen, Kultur und Kulturwissenschaft – Eine Einführung, S. 15
⁷ „Sie [die freie Persönlichkeit] ist nur dadurch Form, daß sie sich selbst ihre Form gibt, und deshalb dürfen wir in ihr […] nicht lediglich eine Schranke sehen, sondern wir müssen sie als eine echte und ursprüngliche Kraft erkennen und anerkennen. Das Allgemeine, das sich uns im Bereich der Kultur, in der Sprache, in der Kunst, in der