Dieser Thread erscheint mir mehr als sinnvoll. Und weil ich das Problem sehr gut und sehr lange kenne, habe ich mir dazu schon vor einer Weile Gedanken gemacht. Nach meinen Erfahrungen und Beobachtungen gibt es mehrere Gründe für diese "Veränderungswut", die sich gegenseitig zudem verstärken können.
1. Persönlichkeitsmerkmal. Es gibt ja verschiedene Charaktere und auch einfach die, die zur Sprunghaftigkeit neigen. Die, im positiven Sinne, offen sind für Neues, gerne unbekannte Wege einschlagen, Überraschungen und schnelle Veränderungen lieben, vielleicht sogar brauchen. Dazu gehöre ich zum Beispiel. Ich blühe auf, wenn ich Unbekanntes lerne oder mich jemand mit etwas Aufregendem überrascht. Ich bevorzuge Sportarten, die schnell sind oder sogar ein bisschen gefährlich. Mich reizen starke Reize, in jeder Beziehung. Ich treffe schnell Entscheidungen, weil mich Dinge schnell begeistern, und genau so schnell langweilen sie mich unter Umständen wieder. Wie gesagt, das ist erst einmal einfach eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur mit all ihren Schwächen und Stärken. Nur: Das mit Haaren auszuleben ist eben besonders einfach, weil die immer präsent sind. Und sehr unkompliziert zu ändern.
Gegenmaßnahme: Den "Spieltrieb" möglichst woanders ausleben. Langeweile ist zum Beispiel so ein kritischer Zustand für mich, in dem ich es sehr verführerisch finde, etwas mit meinen Haaren anzustellen. Also: immer dafür sorgen, dass all diese Kreativität und der Hunger nach Neuem woanders gestillt werden.
2. Unzufriedenheit Und zwar nicht mit den Haaren. Sondern mit allen möglichen anderen Dingen: dem Job, der Beziehung, sich selbst, der allgemeinen Lebenssituation. Und weil es verdammt schwer sein kann, diese anderen Dinge zu ändern, sucht man sich einen Ersatz. Vielleicht sogar ohne es zu merken. Ein Job lässt sich ohne neue Perspektiven nicht so einfach kündigen, eine Beziehung hat so ihre eigenen Dynamiken, die auch nicht leicht zu lösen sind. Und Gründe für die Unzufriedenheit mit sich selbst gibt es genug, da will ich gar nicht so in die Tiefe gehen. Aber der Schritt in eine Therapie, zum Beispiel, ist weitaus härter als sich einfach die Haare zu schneiden. Oder zu färben. Oder was auch immer. Weil ich auch diesen Punkt aus eigener Erfahrung kenne: Ich habe nie so viel mit meinen Haaren gehadert wie in den Krisenzeiten meines Lebens. Und ich glaube sogar, je größer die eigentlichen Probleme sind, also je weniger sich man denen stellen möchte, weil es zu schmerzhaft wäre, um so mehr tendiert man dazu, das eigentliche Problem dahin zu verlagern, wo man gefühlt etwas verändern kann. Ein Unterpunkt dazu wäre mangelnde Selbstakzeptanz: Wer sich selbst nicht leiden kann, vielleicht immer gehört hat, dass er hässlich ist, vielleicht Angst vor Ablehnung hat, oder woher eben ein gestörtes Selbstbild kommt, der kann auch seine Haare nicht leiden. Egal in welchen zustand er sie bringt.
Gegenmaßnahme: Sich erst einmal bewusst machen, woher diese Unzufriedenheit rührt. Ehrlich zu sich sein. Reflektieren. Alles überhaupt nicht leicht. Aber wenn es gelingt, wer weiß, vielleicht gelingt es dann auch besser, die Haare in Ruhe zu lassen.
3. Selbstfindung Das findet ja eigentlich in der Jugend exzessiv statt. Dieses Herausfindenwollen, wer man eigentlich ist und das Herumexperimentieren mit den verschiedensten Stilrichtungen. Und bei den meisten findet sich dann irgendwann so ein kongruentes Selbstbild, das man auch nach außen trägt. Aber das gelingt auch nicht immer. Sei es, weil man ein echt angepasster Teenager sein mußte und sich erst später im Leben traut, herauszufinden, wer man ist und sein will. Sei es, weil sich die Lebenssituation und damit auch die eigene Persönlichkeit verändert. (Zum Glück können wir uns ja immer ändern). Oder sei es, weil man nie so richtig etwas gefunden hat, das sich stimmig anfühlt. Ich habe zum Beispiel das Problem, das ich vom Farbtyp her supersoft und kontrastlos bin, vom Körpertyp her aber genau das Gegenteil. Irgendetwas hat immer nicht so richtig gepasst. Lange Zeit habe ich mich zum Beispiel als "Winter" verkleidet, also mit fast schwarze gefärbten Haaren. Das sah zu meinem Knochenbau grandios aus. Aber das Problem war genau das: ich war verkleidet. Ohne gefärbte Brauen und schwarz getuschte Wimpern hat der Look nicht funktioniert. Und es fühlte sich auf Dauer blöd an, mich zu maskieren, nur um natürlich zu wirken. Wenn dann noch so ein gewisser Sinn für Ästhetik und Perfektionismus dazu kommt, dann kann es schon sein, dass man nicht eher Ruhe gibt, bis sich alles stimmig anfühlt. Und das kann aber wiederum ein schwieriger Weg sein.
Gegenmaßnahme: Naja, ich glaube, das ist ein Prozess, den man nicht wirklich aufhalten kann. Der wird schon von selber stoppen, wenn man sich wohl fühlt. Wahrscheinlich ist es nur wichtig, Punkt 3 von Punkt 2 abzugrenzen und auch da ehrlich zu sich zu sein.
Und am aller wichtigsten finde ich: Sich diesen Veränderungsdrang nicht vorzuwerfen. Sondern, wie viele hier schon geschrieben haben, nach Wegen zu suchen, damit umzugehen.
Ich weiß zum Beispiel, dass ich wirklich langes Haar an mir liebe. Das fühlt sich für mich nach allen Abwägungen gut und kongruent an. Und das hilft mir enorm, wenn ich von anderen bezaubernden Schnitten und Looks abgelenkt werde. Und dass ich inzwischen reflektieren kann, dass der Drang nach einer neuen Farbe bei mir meistens einfach durch Langeweile ausgelöst wird, hilft mir auch. Das war mir vor ein paar Jahren noch nicht so klar.
Einen Geheimtipp habe ich noch: Immer wenn ich herumüberlege, ob es nicht vielleicht wieder doch Schwarz oder Kurz oder sonst was werden soll, dann sagt mein Mann total unbeeindruckt: Nee, das willst du doch gar nicht. Als wäre das ein allgemeingültiges Naturgesetz. Und dann zucke ich mit den Schultern und denke: Stimmt eigentlich.
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