Ich habe das Buch auch. Teilweise kann ich es auswendig zitieren: auch der Chef vergibt sich nichts, wenn er sich ritterlich zeigt.
Die Illustrationen finde ich auch total faszinierend. Ich gucke mir die Möbel an und dann Bilder bei "Freunde von Freunden" und finde sie dort wieder! Leider haben meine Eltern die Teakmöbel, die sie im Wohnzimmer hatten, irgendwann verschrottet. Wären heute ein Vermögen wert.
Ebenfalls faszinierend: die Innenstädte. Die Bilder sind in Düsseldorf und Stuttgart aufgenommen, glaube ich - es gibt keine genauen Angaben, aber hinten steht drin, von wem sie Bilder bekommen haben. Von verschiedenen Anstands-Schulen in Deutschland. Sitte und Anstand haben wir ja auch noch in der Tanzschule gelernt. Das waren noch Zeiten.
Die Frisuren sind ein Zeugnis aus der Zeit vor der Erfindung des Stufenschnittes. Vidal Sassoon hat ja irgendwann in den 60er einen Schnitt erfunden, der von allein hält und gut aussieht, für den man die Haare also nicht zu "dressieren" braucht, wie meine Oma das auch immer getan hat. Sie ist einmal die Woche zum Friseur gegangen, waschen und legen, jahrzehntelang. Aber dann kam die Revolution: ein moderner Kurzhaarschnitt und eine Schwebehaube. Damit konnte sie ihren Puppenkopf (wie meine Cousine und ich das respektlos nannten) selbst herstellen.
In den 50ern hatten praktisch alle Frauen kurze Haare, außer jungen Mädchen mit Pferdeschwanz. Die "durften" das noch. Meine Mutter erzählt mir, wie mein Vater vor der Hochzeit (anno 1963) zu ihr sagte: so, jetzt bist du bald eine verheiratete Frau, da kannst du nicht mehr mit Steghosen, Pferdeschwanz und Scholl-Latschen rumlaufen. Also lernte meine Mutter, sich die Haare zu einem Knötsch auf dem Kopf zusammenzutüddeln, und dieser Knötsch machte sie wirklich viel, viel älter. Irgendwann ließ sie sich die Haare dann schulterlang schneiden und ließ sie offen. Das waren die 68er für meine Mutter - offene Haare, Minikleid, türkiser Lidschatten und Nagellack (aus London mitgebracht) und Stiefelchen wie ein Funkenmariechen
Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie das Leben vor der Wasserscheide der 68er aussah. Bei aller Kritik an dieser Generation - ich würde nicht ins Würmeling-Zeitalter zurückwollen.
Im Film "Der Vorleser" fand ich die Szenen besonders bedrückend-beeindruckend, wo die Familie stumm um den Eßtisch saß. Die Hierarchien in der Familie waren eisenhart und unhinterfragbar. Ich sehe gern alte Filme mit Ruth Leuwerik etc, besonders schön ist "DAs Haus in Montevideo" mit Curt Goetz und Valerie von Martens, aber ich stelle es mir sehr schwierig vor, wenn man zu der Zeit irgendwie "abweichen" wollte. Das war nicht vorgesehen. Das Ideal war adrett.
Meine Mutter hat aus der Zeit übrigens eine tiefe Abneigung gegen alles Knötsch-artige mitgenommen. Ihr könnt Euch vorstellen, was das Freude macht, wenn ich mit Dutt bei ihr auftauche und sie sagt: "waaas, trägst du schon wieder so einen schrecklichen Knötsch. Nein, und das noch freiwillig. Mach dein Haar doch auf, ist doch viel schöner offen..."
