
Da ich mich sehr für historische Kosmetik und Körperpflege interessiere, habe ich mir vor einiger Zeit die "Trotula" zugelegt. Die "Trotula" ist der Autorenname einer Sammelhandschrift, deren frühestes Entstehungszeitpunkt im 12. Jahrhundert angenommen wird, über die Jahrhunderte allerdings ausgebaut worden sein dürfte. Zurückgehen dürfte einiges vom Inhalt auf die Ärztin Trota von Salerno. "Trotula" umfasst mehrere Gebiete aus dem Bereich der Frauenheilkunde und besteht aus drei Werken. Im letzten Abschnitt, der "Trotula Minor" werden auch verschiedenste Rezepte für die Kosmetik genannt, unter anderem auch für die Haarpflege

Das ganze kurz und knapp zu umreißen ist nicht ganz einfach und auch nicht der Ziel dieses Beitrags. Da es ein recht großes historisches Thema ist, bei dem noch viele Fragen offen sind, kann ich eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema nur empfehlen

Ich habe die Übersetzung von Monica H. Green verwendet.
Das Rezept Nr. 269 (S. 117) hab besonders mein Interesse geweckt:
"For making hair long. Grind root of marsh mallow with pork grease, and you should boil it for a long time in wine. Afterward put in well-ground cumin and mastic an well-cooked egg yolks, and mix them together a little. After they have been cooked, strain (this mixture) through a linen cloth and set it aside until it becomes cold. Then take the fatty residue which floats on the top and, having washed the hair well, you should anoint it with it"
Bei alten Rezepten ist das ganze immer so eine Sache, ohne Mengenangaben und genauere Anleitung sind die einzelnen Vorgänge nicht wirklich eindeutig. Das liegt eventuell daran, dass es sich bei diesen Rezepten möglicherweise um Niederschriften einer Erzähltradition handelte und die Personen auch wussten, wieviel Zutaten hier nötig waren.
So wie es klingt, soll es ein Rezept für beschleunigten Haarwuchs sein "for making the hair long", da ich aber nicht glaube, dass es wirklich Kuren gibt, die so etwas bewerkstelligen können und die Zutaten eigentlich sehr pflegend klingen, habe ich das nicht wie empfohlen auf der Kopfhaut, sondern im gesamten Haar angewendet. Ich habe mich auch nicht ganz an die Zutatenliste gehalten, da "mastic" - also Mastix, das Harz eines bestimmten griechischen Pistazienbaumes zu teuer für meine kleinen Experimente ist. Daher hab ich Fichtenharz verwendet, (das haben wir ursprünglich für das Auskleiden einer Kürbisflasche von meinem Freund gesammelt, aber das ist wieder ein anderes Thema


Auch beim Punkt "grind pork grease with marsh mallow roots" bin ich bisschen abgewichen. Ich habe getrocknete Eibischwurzeln aus der Apotheke geholt und in einem Teenetz mitgekocht und das Schmalz im heißen Wein zerlassen, da das zerreiben wohl nur sinnvoll ist, wenn die Wurzeln noch frisch sind?
Hier nun meine Zutatenliste und meine Vorgehensweise:
2 Gläser Rotwein (Rotwein, da Weißwein im Mittelalter sehr unüblich war und Gläser, ja ich weiß, großartige Maßangabe, es dürften im Endeffekt etwa 350ml gewesen sein.)
2 EL Schweineschmalz (da hätte ich ruhig weniger nehmen können, das nächste mal werden es vielleicht 2 TL)
1 gehäufter EL Eibischwurzel
1 TL im Mörser zerriebener Kreuzkümmel
1 Fingernagelgroßes Stück Fichtenharz (mehr habe ich mich nicht getrau zu nehmen, ich hatte Angst davor, dass es die Haare sonst verkleben könnte)
1 Eigelb
Zuerst habe ich in einem Topf den Rotwein zum kochen gebracht, das Teenetz hineingehängt und das Schmalz darin zerlassen. Die Mischung habe ich etwa eine halbe Stunde lang gekocht (in der Hoffnung der Alkohol vom Wein möge großteils verfliegen, da ich um eine austrocknende Wirkung auf den Haaren fürchtete. Andererseits liest man auch immer wieder, dass Alkohol mit pflegenden Wirkstoffen gern in Kombination zum Kuren eingesetzt wird, damit das vom Alkohol aufgerauhte Haar die Pflege besser aufnimmt, wie das beim berühmten Cognac + Ei Shampoo bei der Kaiserin Sisi der Fall gewesen sein soll.)
Daraufhin habe ich den im Mörser zerkleinerten Kreuzkümmel in das Teesieb getan und das Harz in der Flüssigkeit aufgelöst, das ging erstaunlich rasch. Das ganze durfte nochmals 15 Minuten kochen, ich habe es dann noch mit einem Schluck Wasser gestreckt, da mir die Masse zu sehr eingekocht ist. Das Ganze durfte dann auskühlen, bis es etwa Handwarm war, damit mit das Ei nicht stockt. Das Eigelb wurde dann hinein versprudelt und somit war die Kur fertig.
Die Haare habe ich vor der Anwendung nicht gewaschen, aber dafür nass gemacht, damit sich die Pampe besser verteilen lässt. Ich würde nicht behaupten, dass die Mischung stinkt, dafür duftet sie auch nicht. Sie "riecht" einfach.
Als das Ganze am Kopf war, habe ich mich in die eingelassene Badewanne geschmissen und es eine Stunde einwirken lassen. Die Mischung hat arg gesuppt, aber was tut man nicht alles für schönes Haar

Am Ende habe ich die Haare mit Wasser ausgewaschen und lufttrocknen lassen. Lustigerweise waren die Ansätze sauber, während die Längen noch sehr schmalzig waren.
Heute in der früh habe ich also ordentlich mit Seife durchgewaschen und mit Honig und Essig gerinst, aber keinen Conditioner und auch kein Leave In verwendet um das Ergebnis nicht zu sehr zu verfälschen. Sie sind jetzt seidenweich und glänzen fein!
Ich erkläre mir die Pflegewirkung durch die Gerbstoffe im Wein, die wie bei einer Rinse, die Haarstruktur glätten, der Dotter pflegt sowieso durch Proteine und den hohen Fettgehalt, das Schmalz auch durch das Fett und Eibischwurzel schleimt in Verbindung mit Wasser, weswegen das auch als Hustentee getrunken wird. Von der schleimenden Wirkung ist mir aber kaum etwas aufgefallen.
Das Harz wird hier im Forum ja auch von einigen als Pflegemittel in Spitzenbalsam oder Salben verwendet, angeblich dient es ja dazu um Feuchtigkeit einzuschließen. Der Kreuzkümmel ... jo. Keine Ahnung. Vielleicht ist der ein bisschen zum beduften gedacht?

Fotos:

Alle Zutaten, nur der Kreuzkümmel fehlt am Foto - den hab ich bei der Übersicht vergessen


So. Damit ihr meinen thematisch passenden Kelch auch gesehen habt


Die Eibischwurzeln kamen in ein Teenetz ...

Dann wurde das Fett im Gebräu aufgelöst ...

Nach dem Erkalten habe ich das Eigelb hinzugefügt ...

Versprudelt sah das dann so aus. Ich habe mal gehört, dass man früher Kranken und Schwachen zur Stärkung Rotwein mit rohem Ei gegeben hat. Appetitanregend sieht es für mich aber nicht so aus ... Naja.

Und hier meine Haare nach der Wäsche! Sie sind nicht kürzer, das Foto ist nur sehr unvorteilhaft von der Seite entstanden, als ich die Haare über meinen Arm gelegt und ins Licht gehalten habe

Das Ergebnis ist ein satter, sehr gepflegter Seidenvorhang! Demnach werde ich das Experiment mit leichten Abwandlungen bestimmt nochmal wiederholen und bin schwer zufrieden! (auch wenn ich immer noch eher weniger elegant nach Burgfräulein rieche, aber der Geruch ist heute über den Tag hinweg komplett verflogen

Sollte jemand das Rezept ausprobieren, bin ich sehr auf Erfahrungsberichte gespannt!