So, für die geneigte Leserschaft kommt jetzt ein kurzer Ausflug in mein Wohnzimmer, wo ich mich der Wollverarbeitung hingebe
Jaja, tausendmal gehört: "Haha, du spinnst, haha!". Ähm, ja. Ist doch nicht meine Schuld, daß im 18. und 19. Jahrhundert Irrenhausinsassen zwangsweise Garne spinnen mußten und deshalb die Assoziationen sich vermischten. Wobei ich persönlich den Verdacht habe, daß der Zusammenhang auch von dem Bild der alten, dementen Frau am Spinnrad kommt, die halt nix mehr kann außer dem, was sie 70, 80 Jahre lang getan hat - verspinnen.
Ich habe vor etwa anderthalb Jahren damit angefangen, erst mit einer klassischen "Anfängerspindel" (nicht zu empfehlen, die Dinger wiegen fast 70 Gramm - aktuell liegt mein Lieblingsgewicht bei Spindeln zwischen 10 und 25 Gramm...) und dann habe ich mir ein gebrauchtes Spinnrad gekauft. Spinnräder werden nicht massengefertigt, so daß man für ein günstiges Modell ladenfrisch 300 Euro aufwärts hinlegt - bei etwa 1500 Euro ist mit den Standardmodellen Schluß, dann kommen die Edelvarianten.
Hier auf jeden Fall ist mein Spinnrad. Es tut alles, was ich will (hauptsächlich "dünn spinnen") und war ein echter Glückstreffer.
Im Grunde funktionieren Spindel und Spinnrad gleich: die einzelnen Wollfasern werden sehr schnell miteinander verdreht, so daß sie sich gegenseitig halten und nicht auseinanderflusen. Später werden mindestens zwei solche "Single"garne miteinander verzwirnt, und es entsteht ein Garn. Während ich sehr gerne mit der Spindel spinne, ist Verzwirnen bei mir etwas fürs Rad, einfach weil es schneller geht und man mehr auf eine Spindelspule bekommt als auf eine Spindel. Es gibt auch Garne, die nicht verzwirnt sind, aber die werden meistens fürs Filzstricken angewendet - nicht so mein Ding. Man kann dickes Garn spinnen, dünnes, fünffaches, zweifaches, dick-dünnes mit Perlen und Löckchen... wer eine Technik erst mal raus hat, driftet automatisch zur nächsten und experimentiert.
Hier mal drei Bilder von selbstgesponnenem Garn - ich hebe leider Fotos nie lang genug auf, um sie später noch vorzuführen *g* Die beiden ganz links sind aus dem Sommer letzten Jahres, inzwischen kann ich es, wie man rechts erahnen kann, besser und gleichmäßiger. Das Spinnen ist für mich noch immer etwas, wo ich jeden Tag dazulernen kann.
Es gibt im Prinzip drei verschiedene Sorten Spindeln: Kopfspindeln, bei denen das Gewicht oben am Schaft ist, Fußspindeln mit dem Gewicht unten am Schaft, und supported Spindeln (ich kenne tatsächlich kein vernünftiges deutsches Wort dafür), die nicht frei hängen, sondern in einem Schälchen o.ä. laufen und für sehr dünnes Garn geeignet sind. Falls Interesse besteht, kann ich ja noch ein paar Beispielfotos machen
Es ist ein tolles Hobby, und erstaunlich gesellig. In fast jeder halbwegs "Stadt" zu nennenden Stadt gibt es Spinngruppen. Jedes Jahr finden in Deutschland ein gutes Dutzend große Wollfestivals statt, und ebenso viel kleine. Ein wenig Ähnlichkeit besteht mit den Kleingärtnern: die werden auch ausgelacht, weil sie Sachen eigenhändig herstellen, die man deutlich billiger und schneller im Supermarkt kaufen könnte. Aber die pure Lust des Erschaffens, dieser Stolz des Handwerkers, den gibt es nicht im Laden

Das Spinnen ist neben Jagen und Kochen eines der ältesten Handwerke überhaupt, und es erstaunt mich immer noch sehr, wie viel Spaß es macht!